Mittwoch, 5. August 2020

John Horvath: Warum eine Pro-Abtreibungs-Kolumnistin sagt, die Bewegung liege in Trümmern

John Horvat II

Es ist immer gut, hinzuhören, wenn die Pro-Abtreibungs-Feminist/inn/en offen über den Zustand ihrer Bewegung sprechen. Es offenbart die Schwäche der anderen Seite und hilft, die Illusion von der Unbesiegbarkeit der Liberalen zu zerstreuen.

Ein kürzlich in der britischen Tageszeitung The Guardian veröffentlichter Kommentar fungiert hier als Augenöffner. Die Verfasserin ist Jessa Crispin (Crispin, Jessa: Opinion Gender: The pro-choice movement is in tatters. Planned parenthood is part of the problem, The Guardian, 13. Juli 2020 [Meinung Gender: Die Freie-Wahl-Bewegung liegt in Trümmern. Planned Parenthood ist Teil des Problems]).

Sie ist eine US-Korrespondentin der Zeitung und ehemalige Mitarbeiterin von Planned Parenthood [„Geplante Elternschaft“, entspricht der deutschen „pro familia“], die rund fünf Jahre lang in einer texanischen Zweigstelle der Organisation gearbeitet hat. Sie beklagt sich bitter darüber, dass die „Freie-Wahl-Bewegung in Trümmern“ liege und Planned Parenthood „Teil des Problems“ sei. 

Vieles von dem, was die Verfasserin hier sagt, ist nicht neu. Die prekäre Situation der Abtreibungsbewegung spiegelt sich in der wachsenden Zahl von Klinikschließungen (1707 seit 1991) und in der ansteigenden Zahl von Bundesrichtern [der USA] wider, die ihre Urteilssprüche durchsetzen. Die Reporterin zieht jedoch zwei sehr wichtige Schlüsse, die alle Lebensrechtler kennen sollten. 

Planned Parenthood = Pro-Abtreibungs-Bewegung

Ihre erste Beobachtung ist, dass die Pro-Abtreibungs-Bewegung in den USA fast untrennbar mit Planned Parenthood verbunden ist. Jenseits des Schattens dieses riesigen, „gemeinnützigen“, aber dennoch profitablen Giganten existiert kaum etwas. Nicht nur führt Planned Parenthood landesweit die allermeisten Abtreibungen durch, sondern ist auch zugleich der politische Meinungsführer, das wirtschaftliche Kraftwerk und das Medienzentrum der Bewegung. 

Die schlechte Nachricht dabei ist, dass Planned Parenthood solide finanziert, stark vernetzt und fest etabliert ist. Die gute Nachricht ist, dass Planned Parenthood der einzige Player in den Städten ist. Wenn der Abtreibungsriese dem Untergang entgegengeht, zerfällt auch die gesamte Abtreibungsbewegung. Der schlechte Ruf der Organisation reißt alles mit sich in den Abgrund. Und da ist nichts, was sie ersetzen könnte, es gibt keinen Plan B. 

Die abtreibungsfreundliche Guardian-Kolumnistin prangert Planned Parenthood als dekadent an. Sie behauptet, die Organisation habe sich dem liberalen Establishment angeschlossen. Sie habe die Leidenschaftlichkeit einer Bewegung verloren und dafür die Selbstzufriedenheit einer milliardenschweren NGO erlangt. Jessa Crispin sagt, Planned Parenthood sei damit beschäftigt, „intime Beziehungen mit den Mächtigen zu pflegen, den Geschäftsführern der regionalen Filialen Gehälter im mittleren sechsstelligen Bereich zu zahlen, rein symbolische Gesten zu machen und einen griffigen Slogan für den Verkauf von T-Shirts zu entwickeln“. Dieser kopflastige bürokratische Goliath sei auf das Sammeln von Spenden mittels Promi-Galas spezialisiert, die seine Existenz und sein Komfort aufrechterhalten. 

Planned Parenthood verliert den Bodenkrieg

Das Ergebnis von alldem ist, dass Planned Parenthood den Bodenkrieg verliert. 

Diese zweite Beobachtung ist sehr aufschlussreich. Alle Kriege, auch Kulturkriege, brauchen Fußsoldaten. Die Kolumnen-Schreiberin beklagt den mangelnden Zuspruch für die Bewegung auf Basisebene. Während die Bonzen von Planned Parenthood mit Persönlichkeiten des Establishments Duz-Umgang pflegen, beten die Lebensrechts-Aktivisten draußen, vor den Abtreibungskliniken den Rosenkranz, bringen Gesetze auf den Weg, bewirken, dass Kliniken schließen, und bilden große Netzwerke von Basisaktivisten. 

Das Versäumnis, sich vor Ort lokal zu organisieren, bedeutet, dass der Zugang zur Abtreibung überall weiter abnimmt. Der nationale Dachverband der Non-Profit-Organisation steht im Rampenlicht, während die örtlichen Abtreibungsmühlen häufig unterfinanziert und unterbesetzt sind. In einem Brief beispielsweise, den eine Belegschaft von Planned Parenthood von Greater New York an den Vorstand der Organisation sandte, wurde die Führung des „missbräuchlichen Verhaltens und finanzieller Unregelmäßigkeiten“ sowie des „systemischen Rassismus“ bezichtigt. Die Kliniken schließen fortgesetzt aufgrund von Missmanagement, Pro-Life-Aktivismus und einer vergifteten Arbeitsatmosphäre. 

Die Bewegung scheitert vornehmlich, weil sie nicht mit dem Volk auf Tuchfühlung sein kann. Die Kommentatorin beklagt, dass der Slogan „‘Mein Bauch – meine Wahl‘ anscheinend das Beste ist, was sich unsere Pro-Choice-Führer noch einfallen lassen können, um unsere Rechte zu schützen“. Solche markigen Sprüche seien nicht geeignet, eine in sich stimmige und schlüssige Botschaft zu vermitteln, die „klar macht, was hier auf dem Spiel steht“. 

In weiten Landstrichen der Vereinigten Staaten gibt es eben keine „Freie Wahl“

Für eine Bewegung, die sich selbst Pro-Choice nennt, sind weite Landstriche der USA weiterhin ohne Wahlfreiheit für die Abtreibung belassen – trotz des Roe-versus-Wade-Urteils [des Obersten Gerichtshofs der Vereinigten Staaten vom 22. Januar 1973], beklagt Jessa Crispin bitter (während die Lebensrechtler frohlocken). Viele potenzielle Opfer können sich die exorbitante Abtreibungsgebühr von 400 bis 600 US-Dollar von Planned Parenthood nicht leisten. Sechs Bundesstaaten haben nur eine überlebende Abtreibungsklinik – eine Tatsache, die eine Abtreibung in den entlegenen Gebieten praktisch verbietet.

„Da haben Sie keine Wahl, wenn die nächste Klinik 400 Meilen entfernt liegt, Sie kein Auto besitzen und [die amerikanische Bahngesellschaft] Amtrak das letzte Mal vor 80 Jahren eine Haltestelle in Ihrer Stadt angefahren hat.“

Was die Sache für die andere Seite noch schlimmer macht, ist dass die Feminist/inn/en der Generation Z [die im digitalen Zeitalter von 1995 bis 2010 Geborenen] dem Bodenkampf vor Ort gleichgültig gegenüberzustehen scheinen. Liberale Aktivist/inn/en dieser Altersgruppe sehen das Thema „Abtreibung“ nicht als so vorrangig an und engagieren sich [lieber] bei anderen sozialen oder ökologischen Problemen, die als dringlicher erachtet werden. 

Darüber hinaus ist es der Pro-Life-Bewegung gelungen, [der Abtreibungslobby von] Planned Parenthood den wohlverdienten schlechten Ruf zu verleihen. 

Zwei Lektionen

Die Guardian-Kolumne beinhaltet zwei Lektionen für die Lebensrechtler. 

Die erste Lektion ist, dass eine einzige monolithische Organisation mit einem riesigen Budget ihre Nachteile hat. In der Tat leidet Planned Parenthood unter ihrer von oben nach unten organisierten bürokratischen Struktur, die sich leicht festfährt und schwerfällig wird. Ihre sozialistischen Einheitslösungen sind bedrückend und brutal und die Gemeinnützigkeit lässt kaum Wettbewerb zu. 

Diese Zwangslage von Planned Parenthood unterscheidet sich so grundlegend von der erfrischenden Auswahl an organisch gewachsenen Pro-Life-Organisationen, die zahlreich, beweglich und anpassungsfähig sind. Wenn eine Pro-Life-Gruppe versagt, füllen [sofort] andere die Lücke. 

Die zweite Lektion ist, dass Organisationsstrukturen allein nicht ausreichen, um sich durchzusetzen. Das menschliche Element ist entscheidend für den Erfolg. Die Lebensrechtsbewegung ist erfolgreich, weil sie das Thema „Abtreibung“ in eine moralische Debatte verwandelt hat, die tief in den Herzen der Menschen Widerhall findet. Die warmen moralischen Fragen schwingen mit, weil sie von transzendenten Werten und letztlich von Gott sprechen. 

Jessa Crispin hat recht: Die Abtreibungsbewegung liegt heute „in Trümmern“. Dies liegt daran, dass Planned Parenthood die moralische Dimension der Abtreibung nicht aus der Debatte heraushalten konnte. Die Organisation leidet nun, weil sie selbst keine moralische Botschaft hat. Sie kann sich nur in profanen Begriffen der Beendigung des Lebens ausdrücken. 

Im Moment hat die Abtreibungsbewegung bzw. Planned Parenthood vielleicht noch die legale Macht, um ihre Agenda mit Gewalt durchzuboxen, aber sie hat kein Herz. Sie kann die moralische Schlacht nicht gewinnen, der jetzt die Debatte umrahmt und die Aktionen so vieler Lebensrechtler inspiriert.