Freitag, 14. Dezember 2018

Kostenloser Bluttest in der Schwangerschaft: Vorsorge oder Selektion?

Nina Stec

Anfang 2019 soll im deutschen Bundestag darüber debattiert werden, ob die seit 2012 zugelassenen, nichtinvasiven Bluttests im Falle einer Risikoschwangerschaft in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkasse aufgenommen und damit für die Patientin kostenfrei werden sollen. Bei Risikoschwangeren, darunter fällt etwa jede schwangere Frau über 35 Jahren, gilt die statistische Wahrscheinlichkeit, ein Kind mit Downsyndrom (Trisomie 21) oder einer anderen Trisomie zu bekommen, als erhöht. In Deutschland gelten rund 80 % aller Schwangerschaften als risikoreich und hätten demnach Anspruch auf diese Kassenleistung. Alle anderen könnten den Test, wie es ohnehin schon der Fall ist, auf Wunsch durchführen lassen, die Kosten von 300-500 Euro müssten sie selbst tragen.

Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) veröffentlichte unlängst ein Positionspapier, das unter dem Vorsitz des Theologen Reiner Anselm von der Kammer für Öffentliche Verantwortung der EKD erarbeitet wurde und das sich für die kostenfreie Blutuntersuchung ausspricht. Gleichzeitig wird dabei eine kostenlose ethische Beratung für die Schwangere gefordert, welche ebenfalls von der Krankenkasse übernommen werden solle.

Die Stellungnahme führte zu großen Diskussionen vor allem in der Politik und der christlichen Ökumene. Kritik kam vor allem von Seiten der katholischen Kirche, aber auch von der Grünen-Bundestagsabgeordneten Corinna Rüffer, die der Stellungnahme „Ratlosigkeit und Naivität“ bescheinigte.

In der Stellungnahme ging es vor allem um die Benachteiligung geringverdienender Eltern, die sich einen solchen Bluttest eventuell nicht leisten könnten und um die Vorteile des Tests im Vergleich zur üblichen Fruchtwasser- und Plazenta-Untersuchung, die mit dem Risiko verbunden sind, eine Verletzung des ungeborenen Kindes oder gar eine Fehlgeburt verursachen zu können. Der neue Bluttest, für den das Blut von der Mutter abgenommen wird, sei für das Kind ungefährlich.

Dennoch ist es höchst bedenklich, diesen Test „anzupreisen“ oder gar als kostenlos verfügbar zu fordern. Zum einen sind ca. 400 Euro zwar viel Geld, aber andere, auch notwendigere medizinische Untersuchungen sind oft ebenfalls teuer und keine Kassenleistung, es gibt also keinen erkennbaren Grund, ausgerechnet in diesem Fall für eine Kostenübernahme durch die Krankenkasse zu plädieren.

Außerdem gilt der Test trotz „hoher Zuverlässigkeit“ beim Erkennen von Chromosomveränderungen als weniger sicher als die herkömmlichen invasiven Methoden. Er kann nur eine Risikoeinschätzung, aber keine abschließende Diagnose liefern. Wird als Ergebnis ein „hohes Risiko“ auf eine Chromosomabweichung angezeigt, muss zur Bestätigung dennoch eine invasive Fruchtwasseruntersuchung durchgeführt werden.

Vor allem aber wird diskutiert, ob der Test, zudem noch als Kassenleistung, zu mehr Abtreibungen führen würde. Davon kann ausgegangen werden. Schaut man sich zum Beispiel Dänemark an, wo im Jahr 2004 Trisomie-21-Tests kostenlos verfügbar gemacht wurden, wird ersichtlich, dass sich ein Jahr nach deren Einführung die Zahl der Lebendgeburten von Kindern mit Down-Syndrom halbiert hatte: Sie sank von etwa 55 bis 65 pro Jahr auf rund 30.

Zudem erweckt die Forderung nach einer kostenlosen Untersuchung für nahezu alle Schwangeren den Eindruck, dass gezielt nach Behinderungen gesiebt werde, was signalisiert, dass behinderte Menschen unerwünscht seien. Der bittere Beigeschmack einer Selektion lässt sich nicht vermeiden. Schwangere, die sich gegen pränatale Tests entscheiden, sehen sich schon jetzt unter zunehmendem Rechtfertigungsdruck.

Doch die vorgeburtlichen Untersuchungen dienen nur in wenigen Fällen dazu, ein krankes Kind eventuell noch vor der Geburt zu behandeln und ihm zu helfen. In den meisten Fällen können sie nur eine Krankheit feststellen aber nicht heilen, sodass die Schwangere letzten Endes nur noch entscheiden kann, das Kind „trotzdem“ auszutragen oder abzutreiben.

Aber warum denken so viele Eltern, dass sie mit einem behinderten Kind überfordert wären? Warum werden Menschen mit Behinderung in der Gesellschaft vielfach als Belastung empfunden? Eine Studie der Universität Montreal zeigt etwa an, dass Familien mit behinderten Kindern, anders als weitläufig angenommen, nicht unglücklicher sind als andere.

Nicht die Menschen mit Behinderung sind das Problem, sondern eine Gesellschaft, die einerseits von Toleranz und Inklusion redet, andererseits aber dafür sorgt, dass immer weniger Kinder geboren werden, die von diesen Idealen profitieren könnten.


Quellen:

https://www.die-tagespost.de/feuilleton/Organisierte-Eugenik;art310,193397
https://www.sueddeutsche.de/gesundheit/praenataldiagnostik-welche-untersuchungen-in-der-schwangerschaft-notwendig-sind-1.1318159-12
https://www.zeit.de/wissen/gesundheit/2018-10/praenataldiagnostik-bluttest-krankenkasse-down-syndrom-diskussion#fuehrt-der-bluttest-zu-mehr-schwangerschaftsabbruechen
https://www.evangelisch.de/inhalte/153140/03-11-2018/ekd-empfiehlt-kostenuebernahme-fuer-bluttests#comments-list